Anne Tempelmeier, UX-Designerin bei HubSpot, über das datenbasierte Redesign der HubSpot-Registrierung
16. Februar 2022Welche Rolle spielt der Registrierungsprozess einer Website für den Erfolg eines Unternehmens? Für HubSpot, mit 880 Millionen US-Dollar Umsatz und 4.500 Mitarbeitern einer der größten CRM-Anbieter weltweit, ist das eine ganz entscheidende Frage. Je schlechter der Prozess wirkt, desto weniger Umsatz macht das Unternehmen. Und umgekehrt: Je besser hierüber aus Interessenten neue Kunden werden, desto stärker entwickelt sich das Geschäft.
Auf dem Digitale Leute Summit 2021 berichtete Anne Tempelmeier, UX-Designerin bei HubSpot, wie sie und ihr Team mithilfe verschiedener datenbasierter Methoden und Modelle den Registrierungsprozess auf der Website nach und nach verbesserten.
→ Hier findest du die komplette Aufzeichnung ihres Talks (bitte entschuldige die manchmal nicht optimale Audioqualität des Vortrags):
- In diesem Text lernt ihr
- Welche Rolle quantitative Daten beim Redesign des Registrierungsprozesses von HubSpot spielen
- Wie konkret qualitative Daten erhoben wurden
- Wie das Maslowsche Modell der Bedürfnispyramide auf UX-Fragen adaptiert wurde
- Welche Rolle deshalb der Versuch eines herausragenden Nutzererlebnisses spielte
- Wie über einen Design Sprint Workshop und einen A/B-Test die Einsichten in die Praxis umgesetzt wurden
- Welche weiteren Schritte für das Redesign sich daraus ergaben
Ausgangslage für das Redesign des HubSpot-Registrierungsprozesses
Die Ausgangslage ist, dass es ein Standardformular mit verschiedenen Fragen im bisherigen Anmeldeprozess für die verschiedenen HubSpot-Services gab. Links im Bereich war Inhalt zu sehen, der nicht mit dem jeweiligen Anmeldeverlangen – HubSpot bietet ganz unterschiedliche Services an – korrespondierte.
So entstand die Aufgabe, diesen Anmeldeprozess mit dem Ziel zu verbessern, dass dadurch verschiedene Messgrößen, die das Geschäft des Unternehmens beeinflussen, ansteigen. Dazu setzt Annes Team auf quantitative und qualitative Daten.
Nutzung quantitativer Daten für das Redesign
Bevor sich das Team um Anne nun weitere Gedanken um das Redesign gemacht hat, wurden zunächst vorhandene quantitative Daten ausgewertet. Dazu gehören:
- Conversion rate (CVR),
- Absprungpunkte aus dem Registrierungsprozess,
- Aufgewendete Zeit für das Registrieren,
- Einladungsrate (Invite Rate),
- Aktivierungsrate,
- Konkrete Monetarisierung, das heißt der Wechsel vom Freemium-Modell zu einem der kostenpflichtigen Premium-Modelle.
Die quantitativen Daten zeigten Annes Team, dass an dem Registrierungsprozess möglicherweise ein paar Dinge verbessert werden könnten:
- E-Mail-Verfikationsprozess,
- Zeit bis zum Einloggen,
- Angabe der Unternehmenswebsite im Registrierungsprozess.
„Hier gab es also einige kleinere Reibungspunkte“, fasst Anne zusammen. „Es tauchten keine größeren Probleme auf.“ So sei zum Beispiel die Zeit bis zum Einloggen „gut“, aber „sie könnte vielleicht etwas kürzer sein“.
Nutzung qualitativer Daten für das Redesign
Um qualitative Daten nutzen können, schaltete HubSpot eine Kurzumfrage und fragte im Anschluss die Teilnahme an einer kurzen Studie an (gegen eine Bezahlung). Für die weiteren Tests wollte Anne keine schon bestehenden Nutzer von HubSpot ansprechen, weil diese als Poweruser sehr gut mit HubSpot umgehen können. „Wir wollten wirklich neue Nutzer finden, die eigentlich eine hohe Motivation hatten, sich zu registrieren, es aber nicht getan haben“, so Anne. Durch die Kurzumfrage konnten Hunderte von potenziellen Teilnehmer für die Studie gefunden werden.
Product Jobs
Nun wurden Nutzertests gestartet, „in Form einer unmoderierten Studie“, wie Anne beschreibt. Die Methode dazu war ein klassischer Usability-Test, bei dem Nutzern die Aufgabe gegeben wurde, sich für den HubSpot-Account zu registrieren. Dieser Weg wurde aufgenommen und es wurden Fragen dazu gestellt. Aber es sollten zusätzlich auch emotionale Statements eingeholt werden, und zwar mit der Frage:
„Was sind die ersten drei Wörter, die Dir in den Sinn kommen, wenn Du Dein Erleben des Registrierungsprozesses beschreiben müsstest.“
„Wir wollten wirklich herausfinden, was falsch läuft mit dem Ablauf“, so Anne. Dabei sollte eben nicht nur auf die Funktionalitäten geschaut werden.
„Der Registrierungsprozess macht halt seinen Job“, beschreibt Anne die Attribute, die die Befragten genannt haben. „Zusammengefasst: Es gab dazu keine Emotionen.“
Modell auf Basis der Maslowschen Bedürfnispyramide
Letztendlich ist es aber ein erklärtes Ziel des Redesigns gewesen, auch mehr die Emotionen der Nutzer anzusprechen. Anne bezieht sich dabei auf die Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow, welche ein Erklärungsmodell dafür sein kann, wie Aktionen von Nutzern motiviert sind.
Die Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow ist schon ein sehr altes Modell, wozu der US-amerikanische Psychologe Abraham Maslow bereits 1943 eine erste Idee veröffentlichte, die dann in späteren Jahren von ihm weiterentwickelt wurde. Sie ist nicht empirisch belegt und durchaus wissenschaftlich umstritten, wird aber dennoch in vielen Bereichen etwa rund um die Motivation oder Selbstverwirklichung gerne zitiert und adaptiert.
Adaption zur Nutzerbedürfnispyramide nach Walter
Anne nutzt als Gedankenmodell eine Adaption der Maslowschen Bedürfnispyramide, in der Aarron Walter diese auf das UX-Design überträgt und dabei als höchste Stufe der Hierarchie von Nutzerbedürfnissen das Attribut „vergnüglich/angenehm“ ausmacht.
Buchtipp:
Aarorn Walter: „Designing for Emotion“, https://www.aarronwalter.com/book
Klassische Usabilityoptimierung versucht ein funktionales, verlässliches und nutzbares Websiteerlebnis zu ermöglichen. „An diesem Punkt stoppt die klassische Herangehensweise in der Usabilityoptimierung“, beschreibt Anne und zitiert dabei Walter: „Das ist vergleichbar mit einem Besuch in einem Sterne-Restaurant, wo das Essen dann doch nur vorzeigbar war.“ Deshalb sei es wichtig, sich auch um die Spitze dieser Nutzerbedürfnisse-Pyramide Gedanken zu machen, nämlich ob ein UX-Erlebnis zusätzlich auch als „vergnüglich“ angesehen werden kann.
Mit der Betrachtung der Befragungsergebnisse nach diesem Modell wird klar: Das Nutzererlebnis beim HubSpot-Registrierungsprozess kann bisher als funktional, verlässlich und nutzbar beschrieben werden, nicht aber als vergnüglich bzw. angenehm oder begeisternd.
„Benutzerbegeisterung bezieht sich auf jeden positiven emotionalen Effekt, den ein Benutzer bei der Interaktion mit einer Schnittstelle haben kann. Sie muss nicht immer nach außen hin zum Ausdruck kommen, kann aber das Verhalten und die Meinung bei der Nutzung einer Website oder Anwendung beeinflussen.“
(Nielsen Norman group, https://www.nngroup.com/articles/theory-user-delight/)
Die Nielsen Norman Group ist bekannt vor allem durch den Mitinhaber Jakob Nielsen. Nielsen gilt als Usibilty-Papst, der schon seit Jahrzehnten auf nutzbare Websites hinwirkt – ein Klassiker von ihm ist das Buch „Designing Web Usability“. In dem von Anne zitierten Artikel beschreibt die Nielsen Norman Group eine „Theorie der Nutzerbegeisterung“ und stellt dazu eine Hypothese auf: Nutzerbegeisterung kann nur mit einem funktionalen, verlässlichen und nutzbaren Interface erreicht werden.
Der Artikel beschreibt aber auch die Gefahren, wenn zum Beispiel versucht wird, mit Humor, Animation oder anderen Ideen eine Nutzerbegeisterung hervorzurufen, die dann allerdings von den Nutzern als unauthentisch und nicht vertrauenswürdig interpretiert werden könnten.
Anne verspricht sich von einer Fokussierung auf eine angenehmere, vergnüglichere Nutzung des Registrierungsprozesses positive Auswirkungen auf das Nutzerverhalten und die Meinung über ein Produkt oder eine Firma.
Nächster Schritt: Design Sprint Workshop
Mit den Ergebnissen aus der quantitativen und qualitativen Datenanalyse veranstaltete Annes Team einen Design Sprint Workshop. Konkret wurden dafür folgende Ziele festgelegt:
- einen begeisternden Registrierungsprozess gestalten,
- Nutzer beruhigen, dass der Service wirklich kostenlos zu nutzen ist,
- Reibungsverluste im Schritt „Company Domain“ reduzieren,
- Reibungsverluste in der E-Mail-Verifikation reduzieren,
- Zeitersparnis im Registrierungsprozess verwirklichen.
Daraus entstanden ist ein erster Prototyp, der sehr einfach gehalten ist und in dem Platzhalter eingesetzt sind. „Aber es wurde ein freundlicher, kommunikativer Ton verwendet“, so Anne, „der so wirkt, als wenn jemand mit dir spricht.“ Eine gravierende Veränderung ist im Prozess, dass nun nur noch eine Frage pro Schritt gestellt wird. Dadurch hat sich die Anzahl der Registrierungsschritte mehr als verdoppelt.
„Aber unsere Hypothese ist, dass durch die Reduzierung der kognitiven Beanspruchung eine Art Flow kreiert wird“, so Anne. Denn jeder einzelne Schritt ist dadurch nicht so aufwändig zu begreifen. „Und deshalb ist unsere Hypothese, dass trotz einer mehr als Verdoppelung der Schritte, dennoch die Zeit der Registrierung reduziert wird.“
Erste Ergebnisse zeigen emotionalere Reaktionen
Wieder wurde im Anschluss die Frage nach den drei Attributen gestellt, die den Nutzern als erstes in den Sinn kommen, wenn sie etwas über den Registrierungsprozess sagen müssen. „Und zu unserer Freude, sah das Ergebnis dieses Mal ganz anders aus“, so Anne. „Man sieht nun die vielen Emotionen, die der Prozess auslöst.“
Nutzer halten den neuen Prozess zum Beispiel für freundlich, weil er in einem netten und kommunikativen Weg hilft. „Es beruhigt die Benutzer wirklich, wenn der Prozess diesen eher gesprächigen Stil hat“, sagt Anne.
Durch eine solche Kommunikation würde, so Anne, die Ausschüttung des Hormons Oxytocin, dem „Kuschelhormon“, angeregt, welchem Effekte zum Beispiel in Bezug auf Motivation, Ruhe, Glücksgefühle und Loyalität zugesprochen werden. „Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Ausschüttung nicht nur im realen Leben stattfindet“, etwa dann, wenn sich Menschen küssen oder sich gegenseitig umarmen, sondern „auch ein User-Interface kann zur Ausschüttung dieses Hormons führen“, so Anne.
Konsequenzen für das Redesign
Die Tests und Gedanken führten zu einer Vielzahl von Veränderungen:
- Eine Frage pro Schritt,
- Hubspoter werden mit Bildern eingebunden: So wurden HubSpoter mit ihren Bildern eingebunden, später dann – nach einem weiteren Nutzertest – auch ergänzt um ihre Funktion, weil Nutzer sich fragten, welche Personen dort angezeigt wurden.
- E-Mail-Verifikation ans Ende: Bisher stand der Verifikationsprozess ganz am Anfang. Dieser wurde ans Ende verlegt.
- Terms & Conditions: Diese wurden vereinfacht.
- Wegfall der Schrittnummern: Da es nun einen längeren Prozess mit mehreren Schritten gab, wurden die Schrittnummern weggelassen und stattdessen ein Fortschrittsbalken integriert.
- Zurück-Button: Außerdem wurde ein Zurück-Button integriert. Die zugrundeliegende Hypothese ist hier, dass der Nutzer dadurch mehr Vertrauen in den Prozess aufbaut.
- Benachrichtigung: Außerdem wurde auch eine spezielle Benachrichtigung für die mobile Nutzung des Registrierungsprozesses integriert.
- Inhalte: Zudem wurden Erläuterungen ergänzt, aber auch Nutzerbeispiele oder Social Proofs, also Feedback und Erwähnungen.
Zusätzlich beschäftigte sich das Team mit der Frage, wie generell die Zeit im Registrierungsprozess reduziert werden könnte. Hierzu wurden unter anderem die Formulare zur Branche und zum Unternehmensnamen verändert. So wurden die Unternehmensnamen aus einer eigenen Datenbank auf Grundlage der Mail-Adresse vorgeschlagen, die Nutzer betrachteten das aber mit Misstrauen. Deshalb wurden dann erklärende Inhalte zugefügt.
Ergebnisse des A/B-Tests
Das neue Design wurde dann mit einem klassischen A/B-Test mit dem alten Design verglichen, das heißt, 50 Prozent der Nutzer wurden auf das alte Design geleitet und 50 Prozent auf das neue. Und es kamen dabei interessante Ergebnisse heraus:
- 8 Prozent Zeitgewinn,
- 11 Prozent höhere Conversion Rate (mobil); über alle Wege keine Veränderung,
- 3,6 Prozent höhere Einladungsrate,
- 19,7 Prozent mehr Aktivierungen der Software, was Anne auf das emotional herausragende – „delightful“ – Nutzererlebnis zurückführt.
- 31 Prozent mehr Wechsel von der Freemium- zu einer Premiumvariante.
Anne unterscheidet dabei, ob die Daten eine hohe Signifikanz haben, also wirklich genügend Daten erhoben wurden, um eine qualifizierte Aussage über die Veränderung treffen zu können. Dabei wurden alle Veränderungen in einem einzigen Experiment durchgeführt und kontrolliert. Und dann nach Abschluss auch ausgerollt.
Weitere Optimierungen und Experimente danach
Im Anschluss daran beschäftigte sich das HubSpot-Team mit weiteren Optimierungsmöglichkeiten, etwa der Integration eine Mini-Version des Registrierungsprozesses in die normale Websiteumgebung der HubSpot-Academy. Mobile Nutzer bekommen auch die Möglichkeit, die E-Mail einfach über einen Code und nicht über einen Link zu verifizieren.
Auch inhaltliche Veränderungen wurden durchgeführt:
- HubSpot-Academy: So wurde der Registrierungsprozess für die HubSpot-Academy personalisiert, und zwar explizit auf die Inhalte der Akademie ausgerichtet, etwa durch Zitate von Personen, die diese Plattform genutzt haben oder durch Lehrer der Plattform.
- Jobprofil: Eine wichtige Optimierung fand zum Beispiel auch bei der Frage nach dem Jobprofil statt: Hier wurde die Button-Lösung – mit dem obligatorischen „other“ – in eine interaktive Eingabelösung verändert, bei der während Eingabe gleich passende Job-Profile vorgeschlagen werden. Dadurch konnte die Datenqualität um 267 Prozent gesteigert werden. Kontrolliert hat das Team dies durch einen manuellen Abgleich der angegebene Daten mit den LinkedIn-Nutzerprofilen der Neuregistrierten.
- Frage nach der Company-Website: Bei der Überarbeitung dieses Formularfeldes hatte eine kleine Veränderung einen großen Effekt. Aus „What is your companies domain?“ wurde „What is your companies website?“ Einige Nutzer wussten schlicht nicht, was eine „Domain“ ist. Zudem wurde in den Hintergrund des Formularfeldes „www.hubspot.com“ hinterlegt, damit die Nutzer gleich exakt wissen, was sie eingeben müssen.
- Frage nach dem Arbeitsfeld: Die Frage nach dem Arbeitsfeld ist für das Verkaufsteam wichtig, denn darauf abgestimmt werden im Anschluss unterschiedliche Angebote offeriert. Viele Nutzer haben bei der Frage „Which field do you work in?“ mit „Other“ geantwortet. Die Frage wurde dann in „Which part of the CRM platform do you want to explore first?“ Das hat zu einer über 81,3 Prozent besseren Monetarisierungsrate, zu einer deutlich verbesserten Aktivierungsrate und zu einem deutlich verbesserten Abschluss der Onboarding-Tour geführt.
„Die größte Erkenntnis für unser Team war, dass es nicht immer nur um die Verbesserung der KPI, um die Conversion Rate, geht“, so Anne. „Sondern wir konnten feststellen, dass das Investment in „Nutzerbegeisterung“ wirklich großartige Auswirkungen auf ein Projekt haben kann.“
Auf dem Digitale Leute Summit 2021 in Köln hat Anne beschrieben, wie HubSpot seinen Registrierungsprozess redesignt hat – und hat dabei skizziert, welche Rolle dabei quantitative und qualitative Daten spielten.
Über Anne Tempelmeier: Anne arbeitet als UX-Designerin bei HubSpot. Nachdem sie ihr Studium der Neurowissenschaften in Köln und Berlin abgeschlossen hatte, arbeitete Anne zunächst in medizinischen Rechercheprojekten. Seit 2017 ist sie bei HubSpot angestellt. Dort bildete sie sich parallel zur zertifizierten UX-Designerin und in Human-Computer-Interaction weiter. Seit 2020 ist Anne Teil des Akquisitionsteam bei HubSpot und verantwortet dort das Projekt zum Redesign des HubSpot-Anmeldeprozesses.
Autor: Jörg Stroisch