Bastian Scherbeck, Head of Digital Interaction bei Kolle Rebbe

Bastian ist bodenlos, wie man es bei der Hamburger Kommunikationsagentur Kolle Rebbe nennt. Er gehört keiner Abteilung an, kann aber überall hinzugeholt werden. In unserem Interview erzählt er von der Gründung von "We Are Social" und warum es ihn zurück nach Hamburg gezogen hat, wo er neben dem Start neuer Netflix-Serien auch an Chatbots arbeitet.

Vita

Bastian beginnt nach dem Abitur ein Medizinstudium, schwenkt aber schon nach einem Jahr auf Kunst- und Theaterwissenschaften in Erlangen-Nürnberg um. Während seiner Promotion bekommt er ein PR-Magazin in die Hand, woraufhin er sich wenig später bei achtung! bewirbt. Nach zwei Stationen im Agenturbereich, gründet er den deutschen Ableger von We Are Social. Nach 5 Jahren steigt er aus und arbeitet seit September 2016 bei Kolle Rebbe in Hamburg.

Tools
  • Google Docs, Excel
  • Evernote, Slack
Empfehlungen
  • E-Book: Sprint
  • Buch: After Dark
Social
   

Als wir uns in Hamburg auf den Weg zu Kolle Rebbe in die Speicherstadt machen, macht der Norden seinem Ruf alle Ehre: Es ist eiskalt und es regnet in Strömen. Über schlüpfrige Pflastersteine eilen wir zur Dienerreihe 2, wo uns Bastian in Empfang nimmt. Er ist seit September bei Kolle Rebbe und wir merken ihm die Freude an, sich in dieser Agentur mit ihren Eigenarten erst einmal zurechtfinden zu müssen. Wir lernen einen kommunikationsliebenden Bücherwurm kennen, ebenso wie einen technikbegeisterten Social-Media-Enthusiasten.

Hallo Bastian, was ist deine Aufgabe bei Kolle Rebbe?

Bei Kolle Rebbe kümmere ich mich als Head of Digital Interaction um alle Themen rund um Social Media und digitale Interaktion, sowohl strategisch als auch konzeptionell für ganz unterschiedliche Kunden. Ich bin in keinem festen Team, sondern “bodenlos”, wie es so schön bei Kolle Rebbe heißt. Unsere Teams sind den Böden in diesem Gebäude zugeordnet. Der Begriff kommt aus der Zeit, als die Speicherstadt noch als solche genutzt wurde. Für meine Arbeit bedeutet das, dass ich bodenlos zubuchbar bin, je nachdem, wo gerade am meisten digitales Know-how gebraucht wird.

Das klingt abstrakt. Wie sieht deine Arbeit denn konkret aus?

Du kannst dir das so vorstellen, dass ich zum Beispiel für einen Kunden wie Netflix den Launch einer neuen Netflix Original Produktion in Deutschland strategisch und konzeptionell mit vorbereite und begleite. Ich werde dafür in das Netflix-Team eingeladen und arbeite eng mit den Kollegen zusammen.

Darüber hinaus baue ich Wissensformate für die Agentur. Alle zwei bis drei Wochen halte ich eine einstündige Brunch-Lesson zu allen möglichen Themen. Eines der letzten war zum Beispiel, warum Chatbots die neuen Apps sind. Die Lesson davor hieß: “Das Wichtigste zu Snapchat.”

Ich bin aber auch dabei, wenn wir für Neukunden ein digitales Briefing auf den Tisch bekommen, und es darum geht, einen Pitch zu entwickeln. Dann wird aus bestehenden Teams ein neues erstellt, ein Digital-Team, wenn man es so nennen will. Die Bezeichnung “digital” mögen wir eigentlich nicht, aber wir haben noch nicht die richtige gefunden.

Vielleicht gibt es keine bessere Bezeichnung, wir haben auch lange nach einem Namen für “Digitale Leute” gesucht und sind bei “Digital” geblieben.

Bei uns wird das der Sache halt nicht gerecht. Denn von den Leuten, die hier in der Agentur sitzen, haben bestimmt 60 oder 70 sehr viel mit digitalen Themen zu tun und eben nicht nur die sechs, die im digitalen Team sitzen. Digitale Leute passt da besser!

Wie viele Leute arbeiten bei Kolle Rebbe in Hamburg?

Wir sind knapp 300 Leute und sitzen ja ausschließlich hier in diesem Gebäude in der Speicherstadt in Hamburg. Das war auch einer der Gründe, warum ich mich für diese Agentur entschieden habe. In meiner letzten Agentur waren wir 600 Leute, die weltweit an zehn Standorten verteilt waren. Hier gehe ich ein Stockwerk hoch, eins runter. Und da alle in der Regel auch da sind, kann ich mich einfach und schnell mit ihnen austauschen und muss nicht in Singapur anrufen, wenn ich eine Frage habe.

Wie lange bist du schon bei Kolle Rebbe?

Ich bin noch gar nicht so lange da, erst seit drei Monaten.

Wie alt bist du?

37.

Mit dem Bart hätte ich dich tatsächlich älter geschätzt.

Ja, der Bart. Ich weiß nicht, ob der mal weg muss.

Wann hattest du den ersten Kontakt mit dem Internet?

Die ersten Internetkontakte waren 1995 in meinem Austauschjahr in den USA als High-School Exchange Student. Ich erlebte die Chaträume von America Online und stellte fest, dass die Eltern in Deutschland kein Internet haben. Zurück in der Heimat zwang ich meine Eltern, T-Online anzuschaffen.

Wo ist deine Heimat genau?

Ich komme aus dem Ruhrgebiet, aus Castrop-Rauxel. Das liegt zwischen Bochum und Dortmund.

Habe ich schon mal gehört, diesen Rachenreiniger-Ortsnamen.

Ja. Als wir dann Internet hatten, in Castrop-Rauxel, gab es gleich mal tierischen Ärger, weil sich die ersten Telefonrechnungen auf rund 600 Mark beliefen.

Was hast du nach dem Austauschjahr gemacht?

Ich wollte erst Medizin studieren und habe das auch kurz ausprobiert. Mein Dad ist Allgemeinmediziner, und während meines Zivildienstes fuhr ich Rettungswagen und machte den Sanitäter. Nach einem Semester bin ich dann auf Kunst- und Theaterwissenschaften in Erlangen-Nürnberg umgeschwenkt. Mit dem Stipendium der deutschen Forschungsgesellschaft habe ich es bis zur Promotion geschafft. Aber nach zwei Jahren in der Promotion ist mir die Decke auf den Kopf gefallen. Es ist eine einsame Tätigkeit über ein Thema zu schreiben, das keiner kennt. Das ist ja auch der Sinn einer Promotion, nämlich über etwas zu schreiben, weil es neue Aspekte erfasst.

Also stellte ich mir die Frage, ob ich wirklich ins Museum, in ein Auktionshaus oder an die Uni will. Das überlegte ich mir, als ich in der Uni Bamberg in der Bibliothek saß, neben dem Regal für Kommunikations- und Medienwissenschaften. Und dann fiel mir das PR-Magazin in die Hände.

Wenig später wagte ich den Quereinstieg und bewarb mich bei achtung! in Hamburg. PR war mir aber zu langweilig, und darum fragte ich den Chef Mirko Kaminski, ob ich nicht diesen Kram mit Web 2.0 und Blogs machen kann.

Was ist dann passiert?

Dann kam eine geile Zeit, denn wir waren verdammt früh dran. Ich konnte Fehler machen bis der Arzt kommt, und wir haben in den zwei Jahren vermutlich auch nichts verkauft. Aber es war eine super PR für die Agentur. Ich bin Mirko da heute noch dankbar, denn er hat mich direkt ins kalte Wasser geschmissen. Ich habe an Pitches teilgenommen und Workshops mit Kunden gemacht, die alle erstaunt dasaßen, weil das Internet damals wirklich eine neue Welt war.

Was kam nach achtung!?

Weil meine damalige Freundin und jetzige Frau in München wohnte und ich keinen Bock mehr auf die Pendelei am Wochenende hatte, nahm ich ein Angebot einer Wiener Agentur an, mich um die globale Social-Media-Strategie von BMW zu kümmern. Das war eine sehr intensive Zeit, in der ich viel gelernt habe.

2011 bekam ich über LinkedIn aus London das Angebot “We Are Social” in Deutschland zu starten. Nach fünf Jahren, tollen Kunden wie zum Beispiel Beats by Dre, und ungefähr 40 Mitarbeitern, war mir das Thema “Social” dann einfach zu spitz. Ich wollte mich thematisch verbreitern und auch mal wieder eine neue Stadt entdecken. Und so bin ich dann zu Kolle Rebbe gekommen.

An welchem aktuellen Projekt arbeitest du gerade?

Aktuell arbeite ich an einem Projekt für unseren Kunden die Bundesagentur für Arbeit. Auch wenn Behörden ja eher vorsichtig sind, haben wir es schon vor Jahren geschafft, eine Facebook-Page zu starten, die sich an Jugendliche richtet. Die Kampagne im letzten Jahr hieß “Typisch ich”, und es ging darum herauszufinden, was gut für dich ist. Auch wenn deine Mama sagt, dass du das Gleiche machen sollst wie der Papa, und deine Freunde sagen, du sollst reich und berühmt werden. Ich bin genau zu dem Zeitpunkt zu Kolle Rebbe gekommen, als es darum ging, die Kampagne für 2017 zu planen.

Gemeinsam mit einem Kollegen entwickle ich einen Chatbot für WhatsApp, der Jugendlichen die Möglichkeit gibt, ihre Stärken zu entdecken. Der Chatbot ist ein kleiner Teil einer 360 Grad Kampagne, die Bewegtbild, Print und Plakate in Schulen und Arbeitsagenturen umfasst.

Wie viele Leute arbeiten insgesamt bei Kolle Rebbe an der Kampagne für die Agentur für Arbeit?

Das ist natürlich abhängig vom Projektverlauf. Jetzt, in der heißen Phase, sind es mehr als später, wenn die Kampagne läuft, und man nur nachsteuern muss. Ich schätze mal, das sind aktuell ungefähr zehn Leute.

Was waren die ersten Schritte für die Kampagne?

Am Anfang habe ich das Briefing des Kunden zugeschickt bekommen und mir alleine schon mal erste Gedanken gemacht. Ziel: macht es noch geiler als im letzten Jahr. Denn immer, wenn etwas gut läuft, wird die Benchmark natürlich nochmals etwas angehoben.

Dann folgen Halbtages- oder Tages-Workshops mit den Kollegen, in denen wir verschiedene Routen erarbeiten. Diese Routen haben wir der Agentur für Arbeit vorgestellt und uns dann auf eine geeinigt. Und dann ging es konkret in die Maßnahmenentwicklung, was sehr breit gehen kann: von Online-Bannern über Bewegtbild, digital oder TV, bis hin zu Content-Formaten mit Influencern, App-Entwicklungen, Facebook-Pages und Aktionen auf Instagram, Twitter oder Snapchat.

Habt ihr spezielle Methoden, mit denen ihr die Maßnahmen entwickelt?

Ich glaube, wir sind einfach kreative “Köppe.” Soweit ich das in den letzten drei Monaten mitbekommen habe, zeichnet sich Kolle Rebbe dadurch aus, dass wir die richtig kreativen Leute gemeinsam arbeiten lassen. Vielleicht ist das ja auch eine Methode.

Welche Arbeitsmaterialien verwendet ihr bei der Maßnahmenentwicklung?

Wir treffen uns dazu in den Konferenzräumen und nutzen diese Pappen, die hier überall herumstehen. Einige arbeiten auf Papier, andere in Google-Docs, je nachdem wie die Bedürfnisse sind.

Wie habt ihr den Chatbot umgesetzt?

Nach einer Analyse war uns klar, dass wir einen Chatbot für WhatsApp machen müssen, wenn wir die Zielgruppe auf ihrer Plattform ansprechen wollen. Allerdings erlaubt WhatsApp das eigentlich noch nicht. In Zusammenarbeit mit einem Dienstleister, der sich auf Chatbots auf verschiedenen Plattformen spezialisiert hat, haben wir eine Lösung gefunden, das zu umgehen.

Davor galt es aber, die Inhalte zu erarbeiten. Ziel ist, die Jugendlichen dazu aufzufordern, sich über sich und den Berufswunsch Gedanken zu machen. Das wollen wir mit zehn Fragen erreichen, für die es vier Antwortvarianten gibt. Wir stellen über WhatsApp acht Fragen, und die Jugendlichen antworten mit Emojis. Fragen können zum Beispiel sein: Eure Abschlussparty steht an. Bei welchen Aufgaben bist Du dabei? Die Antwortmöglichkeiten sind dann: Ich sorge für Essen, Trinken und dafür, dass alle Spaß haben. Ich plane die Party. Jemand muss ja den Überblick haben. Und so weiter. Wir haben nicht den Anspruch, da höchst wissenschaftlich zu sein. Es geht darum die Hemmschwelle zu senken, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Dazwischen gibt es Motivationsnachrichten im Sinne von: Dranbleiben, gleich kommt die nächste Frage! Die Fragen und alle weiteren Nachrichten haben Texter aus dem BA-Team formuliert. Die haben sich tief in die Sprache der Zielgruppe reingegraben. Anschließend haben wir den Konversationsfluss erst intern (bei Kindern der Kollegen) und dann extern in einem Usability Lab getestet.

Eingeleitet und zusammengefasst wird das durch Influencer. Wir haben dafür zum Beispiel Julien Bam gewinnen können. Dafür habe ich mit dem Kollegen Till zusammengearbeitet.

Welche Tools verwendet ihr für die Koordination innerhalb des Teams?

Das funktioniert hier sehr menschlich. Wir haben hier also kein Ticketsystem oder sowas. Ich gehe einfach auf den entsprechenden Boden und spreche mit den Leuten. Das Projektmanagement übernimmt aber eine Kollegin, die mit einem Excel-Projektplan arbeitet und auch die Meetings organisiert.

Ich persönlich arbeite viel mit Evernote. Das ist mein Tool. Und natürlich nutze ich das interne Kalendersystem. In Meetings versuche ich, den Rechner nicht mitzunehmen. Dann nutze ich meinen Notizblock und übertrage später die wichtigen Punkte in Evernote. Ich bin kein Fan davon, Computer in ein Kreativ-Meeting mitzunehmen. Das funktioniert einfach nicht.

Ich bin kein Fan davon, Computer in ein Kreativ-Meeting mitzunehmen. Das funktioniert einfach nicht.

Slack ist bei uns gerade in der Erprobungsphase.

Welche aktuellen Themen und Trends beschäftigen dich?

Das Thema Live-Video ist unabhängig von der Plattform unglaublich spannend.

Und gerade Chatbots sind ein spannendes Thema, weil wir sehen, wie sich eine Messenger-Economy ausbildet. Die Leute ziehen sich aus den öffentlichen Newsfeeds zurück in gefühlt privatere Kommunikationsräume wie WhatsApp oder Snapchat. Das bringt Marken und Unternehmen in Bedrängnis.

Gibt es einen Fehler, den du in deiner Laufbahn gemacht hast, den du gerne vermieden hättest?

Für einen großen deutschen Sportartikelhersteller haben wir bei We Are Social WM-Finalkarten verlost und dazu eine Facebook-App im Ausland entwickeln lassen. Als ich dann am Wochenende mit meiner Familie in der Nähe von München auf einem Berg war, rief mich eine zurecht höchst erboste Kundin an. Da bin ich so schnell wie möglich vom Berg runter habe zwei Tage durchgearbeitet. Dadurch, dass wir die App günstig produzieren lassen mussten, war sie voller Bugs. Zudem war die App nicht vernünftig gehostet. Beides zusammen führte dann zur Katastrophe.

Was muss man mitbringen, um bei Kolle Rebbe in einem Team mitarbeiten zu können?

Viel Herzblut für Kommunikation. Wenn du langfristig in Agenturen oder auf Kommunikationsseite arbeiten willst, brauchst du eine grundsätzliche Leidenschaft für die Kommunikation mit Menschen. Das ist fast das Wichtigste.

Was inspiriert dich?

Ich war schon immer eine Leseratte und lese unheimlich viel.

Auf Papier oder digital?

Beides. Ich bin gerade von München nach Hamburg gezogen und habe 40 Bücherkisten transportiert. Seit vier Jahren nutze ich aber auch E-Books, wobei ich inhaltlich differenziere. Ein E-Book ist bei mir meist Fachliteratur über Management oder Kommunikationstrends. Bücher aus Totholz sind eher Belletristik, Krimis und Romane.

Was liest du aktuell?

Gerade lese ich Sprint von Jake Knapp als E-Book. Von Haruki Murakami lese ich “After Dark.” Eine absurde Geschichte über eine Nacht in einer japanischen Stadt wie in einem wilden Traum.

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview wurde am 30. November 2016 in den Räumlichkeiten von Kolle Rebbe in Hamburg gehalten.

Webseite: Kolle Rebbe