Mariana ist Teil eines crossfunktionalen Teams, das jede Art von Projekt in der Agentur alleine stemmen kann. Sie erklärt uns ihre Rolle als UX-Designerin, bei der sie versucht, durch die Experience einen Bezug zur Marke herzustellen. Anhand eines VR-Projekts zeigt sie, wie abwechslungsreich ihre Arbeit bei Demodern ist: Daten sammeln, recherchieren, User-Flows erstellen, Personas entwickeln und das Grundgerüst für das Projekt aufsetzen.
Vita
Mariana Gütt studiert zunächst an der hamburgischen Kunsthochschule Kommunikationsdesign. Erste Erfahrungen sammelt sie als Trainee bei Deepblue im Konzeptbereich. Bei Interone entwirft sie Webspecials für BMW und nutzt dort ihre Gestaltungsfreiheit, um neue Technologien auszuprobieren. Nach zwei kürzeren Engagements wechselt sie 2016 als UX-Designerin zur Digitalagentur Demodern.
Tools
- Sketch, Axure
- Zeplin, Avocode
- Photoshop
- Google Docs, Dropbox Paper
Als ich Mariana bei Demodern in Hamburg besuche, denke ich zunächst nicht daran, dass ich die Experience, von der sie mir im folgenden Interview erzählen wird, selbst ausprobieren würde. Jetzt drehe ich meine Flügel, der hydraulische Arm, auf dem ich liege, kippt sachte nach vorn, der Ventilator gibt Vollgas: Ich tauche durch eine dicke Wolkendecke und werde immer schneller. Und dann passiert es: Ich durchbreche die Wolkendecke und vor mir liegt eine mittelalterlich anmutende Stadt, die ich daraufhin wie ein Vogel erkunde. Ich warte auf die eintretende Motion Sickness, doch sie bleibt aus. Ich erlebe daraufhin meine bislang immersivsten und vor allem unbeschwertesten VR-Minuten.
Wenig später, ich habe das Gerät wieder verlassen, werde ich vom Team zu meinen Eindrücken befragt. Ich hatte verraten, dass ich schnell Motion Sickness bekomme. Als einer der Ersten, der die Experience des kleinen Teams erleben durfte, ist mein Feedback wertvoll. Mein Eindruck: Das Team hat ganze Arbeit geleistet.
Und so erklärt mir Mariana im Interview, wie sie dabei bei Demodern vorgegangen sind:
Hallo Mariana, wie muss man sich die Arbeit bei Demodern vorstellen?
Bei Demodern arbeiten wir nach der „Alles-ist-möglich“-Philosophie. Wir sagen oft, „wir machen das jetzt einfach,“ und „wir wollen es viel besser machen.“ Bei meinen früheren Jobs wiederholten sich die Aufgaben oft und wurden nach ähnlichen Prozessen abgearbeitet. Unser Team bei Demodern arbeitet projektgetrieben, und so machen wir von Industrie über Fashion alles, vor allem Projekte, auf die wir Bock haben.
Product Jobs
Welche Rolle spielst du dabei?
Für meine Rolle bedeutet dies, dass wir von der Idee bis zur Umsetzung der digitalen Applikation alles abdecken. Ich begleite den kompletten Prozess, indem ich mich eher im konzeptionell Strategischen bewege als im reinen Gestalten. Das heißt also, erst einmal Daten sammeln, recherchieren, User-Flows erstellen, Personas entwickeln und das Grundgerüst für das Projekt aufsetzen.
Wie viel davon ist Projektmanagement?
Für die allgemeine Kundenkommunikation und die organisatorische Planung haben wir zusätzlich Projektmanager. Meine Arbeit und die des Projektmanagers laufen aber durchaus parallel. So werden die Prozesse verkürzt, weil schneller deutlich wird, warum bestimmte Konzeptentscheidungen getroffen wurden oder was der Entwickler im nächsten Schritt benötigt und was wir dem Kunden liefern müssen. Manchmal frage ich mich schon, ob der ganze Mailverkehr Teil meines Jobs ist. Aber ich will auch nichts verpassen und finde es gut, den Überblick zu haben. Das vereinfacht vieles.
Worin besteht in diesem Prozess dein Beitrag als UX-Designerin?
Der erste Schritt ist erst einmal, alles zu verstehen und für alle verständlich zu machen. Also: Wo will der Kunde hin? Was will der User? Wo wollen wir als Agentur hin? Und wie kann man das umsetzen? Wenn man sich dann fragt, wie das alles zum Produkt oder zur Marke passen könnte, kommt die Experience ins Spiel.
Als UX-Designer leite ich den User durch eine Experience, und die muss irgendwie gestaltet sein. Wenn ich will, dass der User einen bestimmten Weg einschlägt, dann muss ich ihn irgendwie dazu bringen. Um das zu testen, entwerfe ich zum Beispiel Wireframes mit Sketch oder Axure, und dann merke ich recht schnell, ob das funktioniert, was wir uns vorstellen. Die Ausgestaltung übernimmt dann eine Designerin. Bei meiner Arbeit geht es mir weniger um den gestaltenden Faktor. Das habe ich schon recht früh während meines Studiums gemerkt.
Wo hast du studiert?
Ich habe an der hamburgischen Kunsthochschule Kommunikationsdesign studiert. Zuerst hatte ich Soziologie und Kommunikationswissenschaften studiert, hatte dabei aber das Gefühl, dass ich wenig bewegen kann. Ich wollte mehr anpacken. Dann habe ich beim Anpacken gemerkt, dass ich lieber wieder zurück in die Theorie möchte. Und so bin ich dann zum Konzept gekommen. So hieß das damals. Heute spricht man eher von UX-Design.
Welche beruflichen Erfahrungen hast du zwischen Studium und Demodern gesammelt?
Nach dem Studium habe ich bei Deepblue Networks viel über Informationsarchitektur gelernt, indem ich als Trainee in verschiedene Konzeptbereiche reingeschaut habe. Ich habe Newsletter getextet, Social-Media-Posts entworfen und erste Seiten für Unilever in Sitemaps runtergebrochen.
Danach war ich zwei Jahre bei Interone und habe dort an den Webspecials für BMW gearbeitet. Das war auf der einen Seite krass, weil man bei einer riesigen Marke in Superstrukturen denken musste. Andererseits hatten wir die totale Freiheit, neue Technologien auszuprobieren.
Flash zum Beispiel.
Ja. Dann war Flash out und wir haben die ersten WebGL-Projekte umgesetzt. Zum Beispiel haben wir damals einen Fahrzeug-Visualizer gebaut. In diesem Zusammenhang bin ich zum ersten Mal mit 3D-Dienstleistern in Kontakt getreten und habe herausgefunden, wie aufwändig es ist, wenn man die Farbe eines Fahrzeugs verändern und es drehen will. Vor der WebGL-Zeit hätten wir ein Video gemacht und das Auto für den Farbwechsel hinter eine Säule hervor fahren lassen. Früher haben wir mit Filmtricks gearbeitet.
Bei Interone wurde schon damals in interdisziplinären Teams gearbeitet, in denen wir von der Projektentwicklung bis zur Umsetzung alles gemacht haben. Das wurde bei Interone ein bisschen auf die Spitze getrieben.
Was kam nach Interone?
Nach Interone war ich ein Jahr in Stuttgart bei der Kommunikationsagentur Dorten. Diese Agentur war eher klassisch aufgestellt und wollte sich mit mir Digitalexpertise reinholen. Das passte für mich sehr gut, weil sie die Marke BMW i betreuten. Dort habe ich zum Beispiel an der BMW-i-Markenkampagne und -Digitalstrategie gearbeitet.
Danach habe ich eine Mini-Station bei Philipp und Keuntje eingelegt, bis dann Alex auf mich zukam.
Wie ist dein Team hier bei Demodern aufgebaut?
Mein Team ist eines von fünf, die sich auf Hamburg und Köln verteilen. Alle Teams sind sehr breit aufgestellt, um jede Art von Projekt zu stemmen. Daher ist die Anzahl der Entwickler vergleichsweise hoch, und die Skills sind vielschichtig. Neben einem Web-Entwickler haben wir zwei Unity-Entwickler und eine 3D-Artistin im Team. Ein Designer und ich als UX-Designerin und die Projektmanagerin.
Wie ist das Team organisiert?
Im Moment sitzen wir in Hamburg noch alle in einem großen Raum, ziehen aber bald um. Dann hat jedes Team seinen eigenen Raum. Wir haben morgendliche Stand-ups, was notwendig ist, da wir mehr als ein Projekt gleichzeitig bearbeiten. Wir nutzen innerhalb der Projekte unsere eigene Variante von Scrum. Zum Beispiel haben wir einwöchige statt zweiwöchige Sprints. Und statt eines eigenen Scrum-Masters übernehmen das Projektmanagement oder ich als UX die Scrum-Moderation und schreiben die User-Stories. Wir adaptieren das aber immer an das Projekt und an unsere Bedürfnisse und folgen eher weniger den Regeln.
An welchem Projekt arbeitest du gerade?
Eines unserer längeren Projekte ist das Birdly-Projekt, das im Juli fertig wird. Dabei geht es um eine Virtual-Reality-Experience, in der man Ulm im Jahre 1890 wie ein Vogel entdecken kann. Um ein tatsächliches Fluggefühl beim User zu erzeugen, verwenden wir besondere Hardware der Schweizer Firma Somniacs. Auftraggeber sind die Interactive Media Foundation Berlin zusammen mit der Stadt Ulm, die für 2017 das Jahr der Innovation ausgerufen und dafür verschiedene Projekte gestartet hat. Da wir im VR-Bereich führend und gut im Neulandbetreten sind, wurden wir mit der Aufgabe betraut. Anfangs war tatsächlich auch noch nicht ganz klar, wo unsere Aufgabe anfängt, und wo sie aufhört.
Was genau ist Birdly?
Birdly ist eine Maschine, die man beschreiben kann wie eine Liege mit Flügeln. Der User legt sich darauf und kann mit seinen Armen Flügelschläge simulieren. Der hydraulische Fuß kann sich neigen, hoch oder runter fahren und passt sich so der Flugposition des Users an. Über einen eingebauten Ventilator wird, abhängig zur geflogenen Geschwindigkeit, Wind in das Gesicht des Users geblasen. Abgerundet wird das Erlebnis durch die VR-Brille und Kopfhörer. Das war sozusagen unsere Hardware-Ausgangsbasis.
Wie habt ihr das Projekt entwickelt?
Zu Beginn des Projekts waren wir skeptisch. Unseren ersten Flug haben wir bei unserem Auftraggeber in Berlin erlebt, damals in einer Simulation über New York. Das fühlte sich echt krass an, und alle waren megabegeistert. Dann haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, vor welchen Herausforderungen wir stehen. Uns war recht schnell klar, dass keiner von uns eine Ahnung davon hat, wie die Stadt aussieht. Sofort hatten wir tausend Ideen, wie man die Anwendung mit mehr Gaming-Charakter ausstatten könnte. Dann wurde uns aber klar, dass unsere Zielgruppe keine Gamer sind, und wir den Spaß am Fliegen nicht durch den Druck zunichte machen wollten, Sterne einsammeln zu müssen, um weiterzukommen.
Wir haben also alles reduziert und uns auf die Experience an sich konzentriert.
Wie habt ihr herausgefunden, wie Ulm im Jahre 1890 aussah?
Das war meine Aufgabe und die der 3D-Artistin. Die Stadt wurde im Zweiten Weltkrieg fast komplett zerstört, deshalb gibt es keine realen, vergleichbaren Werte. Dennoch wollten wir die Situation vor Ort sehen, einmal wirklich vom Münster aus alles überblicken! Außerdem war die Recherche im Ulmer Stadtarchiv unablässig. Ganz undigital kamen wir mit vielen Kopien und Büchern zurück.
Dann haben wir die Stadt rekonstruiert. Um 1890 wurde das Münster fertiggestellt, und man sieht das Gebäude in einer Konstruktionsphase. Das historische Rathaus, die Synagoge oder Einsteins Geburtshaus waren für uns Hero-Gebäude, die wir erstmals vollständig als 3D-Modell konstruiert haben. Anhand eines alten Stadtplans haben wir eine Typologie entwickelt, welche Art von Gebäude wo stand. Am Ende hatten wir fast vierzig Häusertypen: Fachwerk- und Steinhäuser, kleine, große und mittelgroße. Auf der Map haben wir circa 2.000 Gebäude nach historischem Vorbild platziert.
Wichtig war vor allem das Gefühl, das man beim Überfliegen der Stadt empfindet: Werde ich durch eine computergenerierte Stadt geschickt, oder habe ich das Gefühl einer lebendigen Stadt? Dafür haben wir noch über 6.000 Props wie Bäume, Tiere und Stege platziert. Die Ausgestaltung einer Welt ist eigentlich keine typische UX-Designer-Aufgabe, aber in diesem Fall gehörte sie dazu, und ich fand es megaspannend.
Wie sah die Entwicklung softwareseitig aus?
Unsere Ausgangsbasis ist Birdly, der uns die Grundfunktionen des Fliegens gibt. Die haben wir im Grunde erst mal komplett übernommen. Lediglich eine Funktion haben wir geändert. In der originalen Version stoppt die Simulation, wenn man gegen ein Haus fliegt. Das haben wir angepasst, weil wir festgestellt haben, dass es sich in der Magengegend sehr unangenehm anfühlt, wenn man im Flug abrupt stoppt. Zum anderen störte es die Experience. Wir haben die Sache dann so gelöst, dass man in dem Fall durch eine Art Tunnel fliegt und anschließend an einer Stelle wieder herauskommt, an der man sicher weiterfliegen kann.
Für das Gamedesign haben wir alles in Unity und vor allem in Blender gebaut. Nachdem klar war, welches Polygon-Budget wir zur Verfügung hatten, wussten wir in etwa, wo wir bei der Detailtiefe Abstriche machen mussten. Technisch ist dies durchaus anspruchsvoll, denn wir mussten acht Millionen Polygone in Echtzeit bei 90 Bildern pro Sekunde verarbeiten können. Nur so werden flüssige Bilder für beide Augen generiert und wird Motion Sickness verhindert. Dafür haben wir dann auch auf Custom Shader zurückgegriffen.
Wie habt ihr es geschafft, dass auch VR-Neulinge sich zurechtfinden?
Uns war klar, dass der User an den Flugsimulator und seine Interaktionsmöglichkeiten herangeführt werden muss. Wir wollten ihn also nicht sofort in die Stadt-Experience werfen und damit überfordern. Dafür hatten wir die Idee den User initial über den Wolken abzusetzen und die Möglichkeiten der Maschine zu testen. Eine UI-Stimme erklärt in einem Tutorial die verschiedenen Möglichkeiten. Das Tutorial endet mit der Aufforderung, durch die Wolken zu tauchen. Das ist dann der Moment, in dem man zum ersten Mal die Stadt sieht. Die Idee funktioniert gut!
Welche Tools habt ihr für die Entwicklung verwendet?
Wie gesagt, haben die Entwickler Unity und Blender verwendet. Für das Interface-Design haben wir Photoshop und After Effects eingesetzt. Für die ersten Entwürfe habe ich Sketch benutzt. Die Briefings an das 3D-Design mit historischen Recherchen haben wir mit Google Docs und Dropbox Paper verwaltet. In anderen Projekten arbeite ich auch gerne mit Axure, und die Übergabe der Designs an die Developer erfolgte über Zeplin oder Avocode.
Was sind momentan die in deinem Bereich wichtigen Themen und Trends?
Bei Demodern denken wir Themen immer recht groß und technologiegetrieben. Für uns UXler ist die Frage spannend, wie man im virtuellen Raum und wie man zukünftig mit Maschinen interagiert. Dabei geht es zum Beispiel um Gestensteuerung und um Sprachsteuerung. Wie erwarte ich, dass Maschinen in meinem Alltag oder während dem Einkaufen integriert werden? Sind das Touchscreens oder eine interaktive Umkleidekabine? Für Nike haben wir zum Beispiel ein interaktives Beratungsterminal entwickelt.
Was würdest du Leuten empfehlen, die sich überlegen, etwas Ähnliches wie du zu machen? Was sollten sie mitbringen?
Neugierde, Offenheit, Lust auf Technik und neue Herausforderungen. Letztendlich hat es mich aber auch irgendwie hierher gespült, weil ich immer nach etwas geguckt habe, was mir Spaß macht. Man kann oft nicht planen, wohin es einen verschlägt. Aber wenn man merkt, dass man auf Menschen trifft, die einen inspirieren, dann ist man auf dem richtigen Weg.
Wenn man im UX-Bereich arbeiten möchte, sollte man die kommunikativen Methoden kennen und wissen, wie man etwas gestaltet. Man sollte bestimmte Regeln schon mal gehört haben. Es gibt ja mittlerweile UX-Studiengänge, das finde ich ganz cool. Wichtig ist auch der Blick über den eigenen Bereich.
Welche Internetseiten oder Bücher kannst du empfehlen?
Hauptsächlich ein ziemlich breitgefächerter Newsfeed. Producthunt, um zu sehen, in welche verrückte Richtung scheinbar Userbedürfnisse gehen, TechCrunch und Wired für den Überblick und Medium Daily Digest, weil es hier viel Erfahrungsaustausch zu VR-/AR-Themen gibt. Ansonsten folge ich halt Google und Facebook, ihre Spezialisten teilen auf jeden Fall massentaugliche Ansätze und viele Insights.
Das letzte Buch, dass mich nachhaltig bewegt hat, war „Eine neue Version ist verfügbar“ von Dirk von Gehlen. Er hat das allgemeine Verständnis von Digitalisierung und Arbeiten in der Zukunft auf den Punkt gebracht. Sein Ansatz, dass es nicht um das fertige Produkt geht, sondern viele Meinungen und Iterationen erst zu einem guten Ergebnis führen, decken sich letztlich mit der Arbeitsweise bei Demodern. Von Anfang an sind alle Teammitglieder im Boot.
Liebe Mariana, vielen Dank für das Interview!
Dieses Interview wurde am 8. Mai 2017 im Büro von Demodern in Hamburg geführt.