Meetings in der Produktentwicklung sind wie Plastikverpackungen: Eigentlich möchte man sie vermeiden. Aber manchmal geht es nicht ohne. In dieser Artikelserie wollen wir herausfinden, mit welchen Methoden und Strategien erfolgreiche Produktteams Meetings effizient gestalten und reibungsfrei durchführen.
Scrum-Events gehören fest zum Framework dazu. Aber wie viel Spielraum hat man dabei? Philipp Kleinebrahm ist seit fünf Jahren Scrum Master und Agile Coach beim VoiP-Dienstleister Sipgate. Neben den Tätigkeiten des klassischen “Scrum Masters by-the-book”, beschäftigt er sich zunehmend mit Fragen der Skalierung bei Sipgate. Wie können sich Teams am besten und effektivsten koordinieren? Wie entsteht ein guter Fluss von Informationen? Wie arbeiten alle dezentral aber gemeinsam an der Erreichung der strategischen Ziele? Meetings sind ein wichtiger Bestandteil in diesen Prozessen.
- So hilft euch dieser Text, eure Meetings zu verbessern:
- Ihr erfahrt, warum es sich lohnt, eng am Scrum-Framework zu bleiben.
- Ihr lernt, wie Sipgate Check-Ins und Handzeichen benutzt, um eine positive Atmosphäre in Meetings zu erzeugen.
- Philipp verrät, welche Events außerhalb von Scrum sich bei Sipgate bewährt haben.
Welche Meetings aus dem Scrum-Prozess sind für eure Produktentwicklung unverzichtbar?
Bei Sipgate nutzen wir alle Meetings aus dem Scrum-Framework. Der Grund dafür ist, dass jedes der Scrum-Events mehrere essenzielle Funktionen hat. Will man alle Vorteile aus Scrum ziehen, sollte man auf keinen Fall Bestandteile weglassen.
Kann man auch gut arbeiten, ohne alle Events zu nutzen? Klar. Aber man lässt einiges an Potenzial liegen, das im Framework steckt.
„Man bekommt viel geschenkt, wenn man die Meetings wie beschrieben einhält – selbst wenn man sie nicht vollständig verstanden hat.“
Das kann manchmal am Anfang weh tun, ist die Mühe aber definitiv wert. Mit der Zeit erschließen sich einem dann die tieferen Zusammenhänge und man erkennt den Nutzen in den einzelnen Bestandteilen und kann diese noch gezielter dazu nutzen, besser und smarter zu arbeiten. Da wird es dann spannend.
Habt ihr darüber hinaus feste Meetings?
Eines der Meetings, das jetzt schon sehr lange Bestand hat, ist unser Portfolio-Stand-Up. Mindestens ein Vertreter oder eine Vertreterin aus jedem unserer Teams findet sich einmal in der Woche am großen Portfolio-Board oben im Flur ein, auf dem man alle momentanen Aktivitäten der Firma sehen kann. Jeder gibt ein kurzes Update zum aktuellen Fortschritt, den Problemen und Hindernissen, die sie gerade haben und informiert über kommende Schritte.
Obwohl wir (zur Zeit) knapp 30 Teams sind, ist dieses Stand-Up meistens in weniger als 20 Minuten durch. Der Nutzen liegt ganz klar in der schnellen Übersicht, die man bekommt, ohne sich extra informieren zu müssen. Und in der Möglichkeit schnell Chancen zu erkennen zu kollaborieren, sich zu koordinieren, sich die Arbeit zu teilen oder sich auszuhelfen. Das macht uns schneller und effektiver, ohne ständig alle im Loop halten zu müssen.
Jeden zweiten Freitag gibt es bei uns im Haus eine Art Barcamp oder Open Space: den Open Friday. Der hat uns auch extrem geholfen Meetings loszuwerden, die über Teamgrenzen hinaus gehen würden. Statt alle unter der Woche aus der Arbeit zu reißen, macht man einfach einen Slot am Open Friday. Hier kann dann wirklich jeder kommen und beitragen oder zuhören.
Wie sind die Meetings bei euch zusammengesetzt?
Bei den Scrum-Meetings ist ganz einfach das Team anwesend. Prinzipiell gilt: Wir wollen keine Gefangenen in Meetings, sondern einen Rahmen schaffen, in dem sich alle voll einbringen können.
„Teilnehmen darf jeder, immer. Wenn du etwas Wertvolles beitragen kannst, bist du wahrscheinlich auch richtig dort.“
Die wichtigste Frage ist, wer teilnehmen sollte. Zu große Meetings sind üblicherweise schwerfälliger und man will die Gruppe klein halten. Bei zu kleinen Gruppen läuft man jedoch Gefahr, dass jemand, der wichtige Informationen gehabt hätte, nicht mit dabei war. Das rächt sich meistens später, wenn wichtige Bedenken oder schwerwiegende Hindernisse erst viel zu spät identifiziert werden und die Entwicklung behindern oder sogar zum Stillstand bringen.
In diesem Fall hat man am falschen Ende gespart: Nur um ein Meeting klein und übersichtlich zu halten, sollte man nicht das Risiko eingehen, Menschen mit relevanten Information und Perspektiven nicht einzuladen.
Welche Guidelines gibt es für die Teilnehmer und die Leiter von Meetings?
Bei uns gilt die Prime Directive. Die besagt, dass wir immer davon ausgehen, dass jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter zu jeder Zeit nach bestem Gewissen und Wissensstand handelt. Mit dem Finger auf Andere zu zeigen ist bei uns generell nicht gern gesehen. Das ist die Einstellung, in der wir uns bewegen.
Manchmal machen wir am Anfang von Meetings ein kleines Check-In, damit jeder die Möglichkeit bekommt anzukommen und anzusprechen, mit welcher Stimmung man gerade ins Meeting kommt. Das kann sehr zu einer guten Atmosphäre beitragen. Wenn man weiß, dass eine Kollegin wegen eines vorherigen Termins nachdenklich und vielleicht etwas abwesend wirkt, und nicht unbedingt wegen des eigenen Meetings, hilft das ungemein.
Neben gegenseitiger Rücksichtnahme helfen uns Handzeichen dabei, uns selbst moderieren zu können. Einfaches Melden wenn man sprechen möchte, weitere Zeichen für Zustimmung, gegenteilige Meinung oder „komm zum Punkt, bitte“. Das funktioniert gerade in größeren Gruppen ausgesprochen gut.
Was muss bei euch vor einem Meeting passieren, damit ein gutes Ergebnis rauskommt ?
Für Scrum-Meetings legen wir einfach jeweils im Team die Termine fest und tragen sie in unsere Kalender ein. Der Inhalt und Zweck der Termine ergibt sich aus dem Scrum-Guide und eventuell aus kleinen Verbesserungen, von denen wir gelernt haben, dass sie uns in der Vergangenheit geholfen haben, bessere Ergebnisse in diesen Meetings zu erzielen.
Diese können natürlich von Team zu Team sehr unterschiedlich sein. Das kann man sich vorstellen wie Hausregeln bei einem regelmäßigen Spieleabend: Alle wissen Bescheid, haben sich darauf geeinigt, und es hilft am Ende mehr Spaß und bessere Ergebnisse zu haben.
Wie stellt ihr sicher, dass die Ergebnisse eines Meetings umgesetzt werden und was passiert sonst noch nach einem Meeting?
Ergebnisse oder Erkenntnisse aus dem Backlog Refinement werden direkt in den Stories vermerkt, damit man sich daran beim nächsten Mal erinnern kann. Eventuell schreibt der Product Owner für größere Ideen bis zum nächsten Mal neue Stories und stellt sie dann wieder im Refinement zur Diskussion.
Verbesserungsvorschläge und Action Items aus Retros haben immer einen Verantwortlichen oder eine Verantwortliche. Er oder sie setzt diese Dinge um. Wenn das nicht geschieht, fragen wir einfach warum. Gab es Gründe? War es doch kein sinnvoller Beschluss? Einfach vergessen oder zu viel Arbeit? Darüber kann man sprechen und dann eine passendere Lösung finden.
„Meistens reicht es, Informationen für Andere öffentlich verfügbar zu machen. Dass jemand aktiv informiert werden muss, ist selten und häufig eher störend als hilfreich.“
Das wichtigste Meeting mit Stakeholdern zusammen ist die Review. Dort kann man sich direkt über Ergebnisse, Verbesserungsvorschläge und Vorstellungen für die Zukunft unterhalten, die man anschließend ebenfalls im Refinement etwas detaillierter ausarbeitet. Auch hier geht es vor allem um die Kollaboration mit den Stakeholdern. Jede Einbahnstraße in der Kommunikation – zum Beispiel nur reporten oder nur Anweisungen erhalten – steht dem entgegen und sorgt für Probleme.
Welches Meeting habt ihr zuletzt abgeschafft, das niemand vermisst hat?
Ein produktweites, teamübergreifendes Stand-Up. Eigentlich eine gute Idee. Aber nach einer Woche ausprobieren haben wir gemerkt, dass niemand einen echten Vorteil von diesem Meeting hatte, und wir haben es kurzerhand wieder abgeschafft.
Welche Tipps hast du grundsätzlich für Meetings, egal welcher Art?
Alle bitten, sich kurz zu fassen und dann Menschen aussprechen lassen. Gut sichtbar aufschreiben, was Leute sagen. Fragen, wenn man denkt, dass man einem Konsens nahe ist und das aufschreiben.
Es hat sich bewährt, nach 50 Minuten zehn Minuten Pause zu machen. Pausen sind wichtig und sorgen dafür, dass alle frisch sind und sich voll einbringen können. Bei komplexen Problemen und kreativen Arbeiten führt die Formel „mehr Mühe geben und länger sitzen bleiben“ nicht immer zur Lösung.
Was ist die grundsätzliche Philosophie zu Meetings in eurem Unternehmen?
Weniger ist mehr. Fokus auf den Zweck. So lang wie nötig, so kurz wie möglich. So viele Menschen wie nötig, so wenige wie möglich. Niemals Meetings der Meetings Willen vereinbaren und überprüfen, ob die richtigen Menschen dabei sind.
Mehr dazu, wie bei Sipgate gearbeitet wird, findet ihr in unserem Interview mit Daniel Luca, UX-Designer bei Sipgate.
Fotos: Oliver Tjaden